Am Samstag 7. November jährte sich der Todestag von Swetlana Geier zum 10. mal. Ihre Enkelin Anna Goette, welche sie auch während dem Film begleitete, denkt zurück an ihre Grossmutter, eine Frau die in der Welt der Sprachen lebte.
Was für Erinnerungen hast du an die Zeit der Dreharbeiten? Gibt es einen Moment der dir besonders geblieben ist?
Zwei Momente während der Dreharbeiten sind mir besonders in Erinnerung geblieben:
Ich erinnere mich, dass ich nachts im Zug nach Kiew nicht schlafen konnte. Mir war bewusst geworden, wie existenziell diese Reise für meine Großmutter sein musste. Ich stieg vom Bett nach unten, um zu lauschen, ob sie noch atmete. Sie erschien mir auf einmal so zart und verletzlich. Ich befürchtete, dass sich für sie mit dieser Reise, die sie als junge Frau in entgegengesetzter Richtung gemacht hatte, der Kreis schließen würde und sie dann einfach sterben würde. Vielleicht hat sich der Kreis für sie tatsächlich geschlossen aber sie schlief ganz ruhig unter mir auf ihrer Pritsche, atmete sehr leise und ließ sich am kommenden Morgen fröhlich mit Tee bedienen.
Und dann der Moment, als wir vor dem Haus ihrer Kindheit in Kiew standen. Es war das Haus, aus dem ihr Vater abgeholt und ins Gefängnis gebracht worden war. Wir saßen im Auto, sie hielt sich an meinem Arm fest, sah das Haus durchs Fenster und wollte nicht aussteigen. Kein Zureden half, sie ließ sich nicht bewegen. Schließlich bin ich alleine ausgestiegen und habe mir das Haus von nahem angesehen. Ich habe einen kleinen Stein aus der Mauer gelöst und ihr ins Auto gebracht. Als sie sich schließlich doch durchgerungen hatte auszusteigen, schlitterten wir gemeinsam übers Eis zu dem Fensterbrett auf dem sie als kleines Mädchen gesessen und gespielt hatte.
Sie hat diesen Ort verlassen müssen. Aber all das, wofür er stand, ein großer Schmerz, eine große Sehnsucht aber auch der unbedingte Wille zu leben, das hat immer auf ihr Leben und ihre Arbeit eingewirkt und natürlich auch auf das Leben ihrer Kinder und Enkel. In diesem Moment wurde das für mich sehr deutlich sichtbar.
Haben die Dreharbeiten deine Beziehung zu ihr verändert?
Diese Reise mit ihr machen zu dürfen, war für mich ein großes Geschenk. Sicher hat das gemeinsame Erleben dieser Reise mich ihr auch näher gebracht.
Hast du durch den Film evt. besser oder von einer anderen Seite kennengelernt? Hat der Film dein Bild von ihr verändert?
Der Film hat mein Bild von ihr nicht verändert aber er hat meine Wahrnehmung bereichert und ergänzt. Ich habe sicher ein besseres Verständnis dafür entwickelt, was es bedeutet, wenn ein Leben zwischen die Mühlsteine zweier totalitärer Regime gerät. Ich habe aber auch verstanden, wie wenig wir das aus unserer Perspektive heute tatsächlich ermessen können.
Dass ihre Übersetzungsarbeit, die Arbeit an und mit den Sprachen für sie ein existentieller, ein Lebens- Ausdruck und nicht irgendeine Arbeit war und es für sie dazu gar keine Alternative gab, auch das habe ich besser nachvollziehen können. Sie hatte keine andere Heimat, als die Heimat in der Sprache, in der Sprache an sich und den Sprachen, mit denen sie arbeitete.